Anonymität und Gesellschaft Bd. II

Wissenschaft, Utopie, Mythos

  • 600 Seiten
  • erschienen 05.09.2022
  • broschiert
  • 22,2 cm x 14,0 cm
  • 1. Auflage
  • ISBN 978-3-95832-252-3
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Beschreibung


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Anonymität entwickelt sich im 20. Jahrhundert zu einem markanten Begriff der Gesellschaftsbeobachtung, der Utopie anderer Existenzweisen und der Gefährdung von Ordnung. Die Gesellschaft des 20. Jahrhunderts erscheint mitunter als eine immense Hotelhalle, in der sich die Menschen bezugslos tummeln. Die Zonen des Anonymen gelten gleichermaßen als unfassbar wie auch als Kristallisationspunkte, wo neue Formen des Sozialen entstehen. Dergestalt lenken sie den Blick einer neuartigen Sociology Noir auf sich, mehr noch, über die Fotografie, die namenlose Menschen auf neue Weise in Szene setzt, entwickelt sich eine eigentliche Ästhetik des Anonymen an der alltäglichen Bruchstelle von Individuum und Gesellschaft.
Allein, die wissenschaftliche Bestimmung des Phänomens des Anonymen erweist sich als unmöglich: »Das Anonyme, das begriffen würde, wäre es nie gewesen«, so Jaspers. Genau in dieser Unmöglichkeit liegt gleichzeitig auch der Kern einer Utopie, eines Jenseits der gesellschaftlichen Ordnung. Anonymität erweist sich zusehends als eine Maschine zur Erzeugung von Fiktionen. Avantgarde-Bewegungen beginnen mit der Anonymität zu experimentieren – und scheitern.
So droht die Anonymitätsvorstellung mehr und mehr zum Mythos zu werden, und Foucaults Ruf, »wir müssen die Anonymität erobern«, lockt in eine Falle, wie die aussichtslose Suche nach Anonymität in den Adressräumen des Cyberspace zeigt. Denn was Anonymität selbst anonymisiert ist die Tatsache, dass sie stets einer Ordnung entspringt und mehr noch über Verrätselung dabei hilft, diese Ordnung an neue Realitäten anzupassen. Anonymität und moderne Gesellschaft sind so auf das Engste miteinander verbunden. Das Widerständige, so die These in diesem Band, liegt in den Namen selbst.

Felix Keller


Felix Keller
© privat

Felix Keller lehrt und forscht als Soziologe an der Universität St. Gallen, wo er sich mit der vorliegenden Untersuchung habilitierte. Zuvor unterrichtete und arbeitete er an verschiedenen Universitäten (Zürich, Lausanne, Paris, Luzern). Zu seinen Forschungsgebieten gehören wissenssoziologische Fragen der Gesellschaftsbeschreibung, der Vermessung des Sozialen, die Geschichte der Sozialforschung, Utopieforschung sowie Soziologie des Visuellen, insbesondere der Fotografie.