Die im Untertitel dieser Arbeit vermerkte Frage Wer liebt wen, wenn jemand sagt: 'Ich liebe Dich!'? bereitet keineswegs auf ein Buch über Liebe vor. Sie zitiert nur ein Feld, innerhalb dessen das eigentliche Problem, um das diese Arbeit kreisen wird, geradezu paradigmatisch einleuchten könnte. In der Liebe geht es schließlich wie nur in wenig anderen Sozialkontexten um ICH und DU, und zwar eben nicht nur um konventionell genutzte Ausdrücke in der Kommunikation für Sprech- und Ansprechpositionen,
sondern, wie man zu sagen pflegt, um ›Tieferes‹, um das, was ein Jemand (eben tief drinnen und zugriffsentzogen) irgendwie ›tatsächlich‹ ist, um einen ›Kern‹, dessen man nicht ansichtig werden könnte, selbst wenn man die Körper durchleuchten würde.
Das Zeichen ›Ich‹ (und seine Äquivalente) wird in solchen Fällen habituell ›emphatisch‹ eingesetzt, als Anzeige einer lebensbedeutsamen Verborgenheit, einer nukleolenhaften
›Identität‹, die sich suchen, finden, (wieder)verlieren und (wieder)gewinnen läßt. Aber auch jenseits dieser emotional hoch aufgeheizten Zellen der Intimität sind ›Ich‹ und ›DU‹ oder überhaupt Markierungen personaler Identität zumindest in europäisch-christlich instruierten Kontexten nicht wegdenkbar. Sie treten nicht selten in der Form auf, daß da eine Vorderwelt sei, hinter deren Kulissen eine Hinterwelt sich vorstellen lasse, in der das eigentliche, das wirkliche ›Ich‹ oder ›Selbst‹ gleichsam in Wahrheit residiere – eine Art ›Hinterweltler‹, wie man es mit Nietzsche und in schon sehr abgekühlter Manier sagen könnte. Dieses Modell ruft wie von allein die Idee auf, man müsse nur in diese Hinterwelt gehen, in diese terra incognita, und könne absteigen in den dunklen Kontinent hinter/unter der offiziös-offiziellen Welt der Kulissen und dann werde man sich selbst finden, zu sich selbst gelangen, man selbst werden – ein Gedanke, von dem nicht wenige Psychotherapeut/inn/en leben und der in Selbstfindungskursen bis zur Unmäßigkeit inszeniert und zelebriert wird.
Daß dieses Modell sozial wie psychisch überzeugen kann, liegt an den tief eingeschliffenen Effekten einer Phantasmatik des Raumes, in der die Welt erscheint als Welt von ›Be-Inhaltungen‹. Sie ist in gewisser Weise wie eine ungeheure Kammer, eine Behausung, die aufnahmefähig
ist für Unterkammern, die ihrerseits frei für Besetzungen sind. Was immer ist, ist in etwas ›drin‹. Und was immer als ein Mensch ›Darinnen‹ ist, schaut, hört und spricht aus sich ›heraus‹ und selten von wo anders her, und wenn, dann hat man es mit mystischen oder psychiatrisch bedenklichen Phänomenen zu tun, mit Abweichungen jedenfalls, die die Normalität des ›Aus-dem-Drinnen-Heraus‹ bestätigen. Und: Derjenige, der darinnen haust, ist – so die konventionelle Vorstellung – ein Jemand, ist eine Singularität, also eine Einmaligkeit und Einzigartigkeit, die selbst dann gegeben ist, wenn sie weder bedacht noch mitgeteilt werden kann.
Es sind solche (und anrainende) Vorstellungen, die in diesem Buch einer ›De-Konventionalisierung‹ unterzogen
werden sollen, aber nicht im Sinne von leicht zu habenden Tabu-Brüchen, nicht im Sinne einer Negation, die vielleicht eher eine ›Privation‹ wäre wie in der wunderbaren
Formulierung Rimbauds: 'Je est un autre'. Statt dessen steht die Frage im Mittelpunkt, ob es gelingen
kann, eine selbst im Scheitern noch instruktive Theorie
zu entwickeln, die sich mit dem befaßt, womit man sich befaßt, wenn man sich mit sich selbst befaßt. Oder anders ausgedrückt: Ist die Systemtheorie strukturreich genug, um das Problem psychischer Selbstreferenz, zugespitzt
auf das, was als personale Identität behandelt wird, vom Kopf auf die Füße zu stellen?