Das Soziale ohne Grenzen?

Eine historisch-wissenssoziologische Analyse zu den Grenzen der Sozialwelt in der Frühen Neuzeit

  • Erscheinungsdatum: 05.01.2015
  • Paperback
  • 304 Seiten
  • 22.2 x 14 cm
  • ISBN 978-3-95832-044-4
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Beschreibung


In den letzten Jahren hat sich das Spektrum soziologischer Themen und Grundlagenfragen erweitert. Die vormals übliche Gleichsetzung von Menschlichem und Sozialem wird nicht nur infrage gestellt, sondern selbst zum Gegenstand gemacht. Aus der Wissenschafts- und Technikforschung stammt die Forderung, dass die Beobachtung interpersoneller Beziehungen auf Dinge und Technik auszuweiten ist. Daneben hat sich ein Forschungsfeld etabliert, in dessen Rahmen eigens die Bedingungen und Verläufe gesellschaftlicher Grenzziehungsprozesse analysiert werden.

Der Frage nach den Grenzen der Sozialwelt liegt die zentrale These zugrunde, dass es historisch kontingent ist, wie in Gesellschaften der Kreis allgemein anerkannter Sozialwesen begrenzt wird. Die Pointe ist, dass die Frage, wer eine soziale Person ist und was nicht, sich nicht theoretisch, sondern nur empirisch beantworten lässt, indem die praktische Realisierung gesellschaftlicher Wirklichkeitsbildung in den Blick genommen wird.

Die reflexive Wendung auf den soziologischen Gegenstand ist nicht nur eine theoretische, sondern vor allem auch eine methodologische Herausforderung. Auf den Punkt gebracht: Wie lässt sich die anthropologische Differenz der Moderne in den Blick nehmen, ohne diese Differenz bei der Beobachtung bereits vorauszusetzen?

Dieses Buch schlägt eine reflexive Verzahnung von Sozialtheorie und empirischer Analyse vor. Im ersten Teil werden die Anforderungen in Auseinandersetzung mit Konzepten Helmuth Plessners und Gesa Lindemanns erörtert sowie die ‚Theorie historischer Wissensordnungen‘ in Weiterentwicklung der ‚Neuen Wissenssoziologie‘ von Peter L. Berger und Thomas Luckmann vorgestellt. Der zweite Teil bringt den methodologischen und theoretischen Ansatz zur Anwendung. Im Zentrum steht hier die Analyse der spanischen Kolonialismusdebatte zwischen Bartolomé de Las Casas und Juan Ginés de Sepúlveda während der Junta von Valladolid Mitte des 16. Jahrhunderts. Der Vergleich von moderner und frühneuzeitlicher Wissensordnung zeigt die Variabilität der Bedingungen und Formen praktischer Wissensproduktion: Eine allgemein geltende Grenze zwischen dem Sozialen und Nicht-Sozialen, wie dies für die westliche Moderne gilt, ist am Beginn der Frühen Neuzeit weder denkbar noch möglich.

Nico Lüdtke


Nico Lüdtke seit 2015 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt „Reflexive Responsibilisierung. Verantwortung für nachhaltige Entwicklung“ der Leuphana Universität und der Universität Oldenburg. Er promovierte 2013 zum Doktor der Philosophie und hat an unterschiedlichen Projekten als wissenschaftlicher Mitarbeiter mitgewirkt.

Publikationen bei Velbrück: Das Soziale ohne Grenzen?

Pressestimmen


Nico Lüdtke verfolgt in seinem Buch [...] ein Programm, das dem von Latour nicht unähnlich ist. Die Strategie, mit der er eine Hypostasierung des Sozialen vermeiden will, setzt ebenfalls bei der Frage an, wie das Soziale – durch Auswahl aus einer vorgefundenen Heterogenität – jeweils von den Beteiligten hergestellt wird. Dabei geht es ihm um die Grenzziehungen, mit denen zwischen einem Sozialen und einem Nichtsozialen unterschieden wird, und konkret um die Frage, welche Wesen überhaupt als ›soziale Personen‹ gelten; das ist nahe an Latours Programm, es als empirische Frage zu behandeln, welche Entitäten als Akteure gelten können. Und wie bei Latour soll die theoretische Reflexion es gerade ermöglichen, auch grundbegriffliche Fragen einer Irritation durch Empirie auszusetzen.
Andreas Pettenkofer, Soziologische Revue 2019; 42(1).