Sofort verwendbare Informationen über die menschliche Natur, das hat Brecht einmal vom Theater gefordert. Die saloppe Formulierung enthält ein Programm, das er zeitlebens weiterverfolgt hat. Doch seine eigenwillige, historisch wie pragmatisch angelegte Anthropologie hat bislang kaum Aufmerksamkeit gefunden. Sie entsteht aus der nüchternen Analyse der Bedingungen und Möglichkeiten der eigenen literarischen Produktion, weist aber weit darüber hinaus. Volker Schubert rekonstruiert sie anhand der titelgebenden Sentenz aus dem Munde Herrn Keuners und weist ihr Potential für die Pädagogik nach.
Die Argumentation des Buches wird entwickelt anhand theoretischer Bemerkungen und ausführlicher Interpretationen verschiedener Gedichte, Geschichten und Stücke. Dies erlaubt es, die überragende Bedeutung dessen herauszuarbeiten, was bei Brecht Einverständnis heißt, und ermöglicht es einerseits, die Überbeanspruchung moralischer und überhaupt normativer Orientierungen entschieden zurückzuweisen, sowie andererseits, Gesellschaftlichkeit als produktive Herausforderung zu begreifen.
Unter anderem geht es um das Einüben von Gesellschaftlichkeit im Badener Lehrstück vom Einverständnis, um die Große und die Kleine Pädagogik in Die Mutter, um die Didaktik des plumpen Denkens im Dreigroschenroman und die Experimente mit Haltungen in den großen Dramen. Kern von Brechts Anthropologie ist die in vielen Varianten ausbuchstabierte enge Verbindung der Individuen und den stets widersprüchlichen Situationen, in denen sie tätig sind und aus denen sich Notwendigkeiten ebenso ergeben wie Potentiale. Sie unterläuft sowohl idealistische Humanitäts- und Subjektvorstellungen als auch gängige Innenwelt-Außenwelt-Spaltungen.
Brechts illusionsloser Blick auf Menschen und ihre Praxis kontrastiert das in der Pädagogik verbreitete notorische Übergewichts des Sollens. Gesellschaftliche Verbesserungen sind nicht von der moralischen Qualifikation der Individuen abhängig. Pädagogik und Verhaltenslehren setzen vielmehr auf die genaue Analyse der Situationspotentiale der jeweiligen gemeinsamen Praxis, die neue Möglichkeiten erschließen und Selbstveränderungen anregen können, ohne dass damit übertriebene Ansprüche an die Einzelnen verbunden wären.