Ausgehend von der bereits seit längerem etablierten amerikanischen Law and Literature-Bewegung hat das Forschungsfeld ›Recht und Literatur‹ in den letzten Jahren auch in Europa Fuß gefasst. Der vorliegende Band knüpft an in diesem Kontext entstandene Vorarbeiten an mit dem Ziel, die Grundlagen für eine interdisziplinäre Forschungsmethode – die ›juristische Kontrafaktik‹ – zu legen. Der besondere Fokus liegt hierbei auf dem Recht in der Literatur.
Einleitend wird ein kurzer vergleichender Überblick über die heterogenen Forschungsansätze in Italien, Frankreich, Belgien und Deutschland gegeben, gefolgt von einer theoretischen Auseinandersetzung mit den Begriffen der Interdisziplinarität und der Kontrafaktik einerseits und den Zugangsweisen zum Text, d.h. Diskurs und Hermeneutik, andererseits. Als gemeinsame interdisziplinäre Arbeitsgrundlage von Recht und Literatur werden der geschriebene Text und seine untrennbare Verknüpfung mit der menschlichen Gesellschaft sowie die Hermeneutik und der Diskurs als Mittel der Texterschließung in den Vordergrund gerückt.
Die enge Verbindung von Recht und Literatur wird durch den kontrastiven Vergleich von fiktionalem Rechtsdiskurs im Text und realweltlichem Recht (Strafrecht, Gewohnheitsrecht, Asylrecht, talmudisches Recht) anhand konkreter literarischer Beispiele illustriert: Diese eine Entscheidung (2022) von Karine Tuil, Hana (2017) von Elvira Dones, Unorthodox (2012) von Deborah Feldman, Repenti (2017) von Claude Chossat und Ohrfeige (2016) von Abbas Khider.